Tödliche Gifttiere per Post verschickt?

Sie werden in Päckchen verschickt oder einfach persönlich übergeben: Potenziell tödliche Gifttiere. Wir tauchen undercover in die Welt des Gifttier-Schwarzmarkts ein – warum versagt hier das Gesetz?

© Lars Heidrich / FUNKE Foto Services

„Der Versand nach NRW ist nicht das Problem. Sie dürften wissen, auf was Sie sich da einlassen. Meinerseits gibt es da keine Einwände.“ Der Händler im Internet bietet uns einen Mengenrabatt an: 20 Euro pro Tier. Ab 10 Stück wird’s günstiger. 15 Euro kostet der Versand per DHL, mit „Styroporbox und Heatpack“. Der Händler aus dem Internet macht sich in diesem Moment mutmaßlich strafbar. Was er uns da gerade verkaufen will, ist potenziell tödlich. Androctonus australis, so heißt der Skorpion, der zu den giftigsten der Welt gehört. Angeboten im Internet in einem Terraristik-Forum.

E-Mail-Nachricht eines mutmaßlichen Gifttier-Verkäufers im Internet© Radio Emscher Lippe
E-Mail-Nachricht eines mutmaßlichen Gifttier-Verkäufers im Internet
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Gemeinsame Recherche mit der WAZ

Für diese Recherche haben wir gemeinsam mit der WAZ gearbeitet. Einen ausführlichen Artikel zum Thema könnt ihr hier lesen.

Ginge es nach der Politik, wäre so ein Verkauf unmöglich. Vor knapp vier Jahren ist das Gifttiergesetz in NRW in Kraft getreten. Es verbietet die Haltung und die Abgabe giftiger Tiere in NRW. Bestandshaltungen müssen gemeldet, dürfen aber beibehalten werden. Eingeführt wurde das Gesetz Anfang 2021 – als Folge einer dramatischen Woche in Herne, die bundesweit und sogar international für Aufsehen, Angst und Schrecken gesorgt hatte: Am 25. August 2019 sieht eine Bewohnerin eines Mehrfamilienhauses in Herne-Holthausen eine rund 1,40 Meter lange Schlange. Sie wählt den Notruf. Was folgt, ist ein nervenaufreibender, tagelanger Einsatz für Ordnungsdienst, Polizei, Feuerwehr und Schlangenexperten. 

Auge in Auge mit tödlicher Schlange von Herne: Roland Byner

Gifttier-Experte Roland Byner© Radio Emscher Lippe
Gifttier-Experte Roland Byner
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Wir können mit dem Mann sprechen, der damals der tödlichen Monokelkobra in Herne in die Augen geschaut hat: Gifttier-Experte Roland Byner aus Bochum. Er wird immer dann gerufen, wenn giftige Tiere ausgebüxt sind – so wie vor fünf Jahren in Herne. „Mein gefährlichster, langwierigster Einsatz mit einer hochgiftigen Schlange. Die konnte überall und nirgends sein.“ Die Suche erstreckte sich über mehrere Tage, Roland Byner war immer in Alarmbereitschaft. Erst als Helfer die Wiese am Haus mähen, wird die giftige Schlange entdeckt. „Es war heftig“, erinnert sich Schlangenexperte Roland Byner an den Moment, als er das hochgiftige Tier mit einer Schlinge einfangen musste. „Irgendwo ne Todesangst“ sei da gewesen. „Jetzt ist erledigt.“ Da falle sehr viel Druck ab.

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Das Gifttiergesetz sieht Byner kritisch. Prinzipiell sei es aus einer guten Idee heraus entstanden – es brauche aber mehr Aufsicht durch das Landesumweltamt. Das Amt kontrolliere die Terrarien nicht auf Sicherheit. Byner wünscht sich eine Art Zulassung wie beim TÜV, mit Hausbesuchen bei künftigen Tierhaltern. Gifttiere generell zu verbieten hält Byner nicht für nötig. Aber die Terrarien müssten 100 Prozent sicher sein. „Was nützt mir die beste Versicherung, wenn die Schlange ausbricht und ein Kind beißt?“ Schwarze Schafe im Internet gebe es immer, sagt Roland Byner. Der Schwarzmarkt könne kaum unterbunden werden – auch durch ein Gesetz nicht. Sein Rat: „Wenn die Tiere überhaupt sein müssen und ich unbedingt Nervenkitzel haben möchte: Es gibt viele ungiftige Schlangen. Wenn die zubeißen, dann ist das wirklich eine Freude. Das gibt vielleicht ne kleine Fleischwunde. Und dann kann ich mir ausrechnen, was passiert, wenn mich mal so eine Giftschlange packt. Dann habe ich einen Besuch auf der Intensivstation.“

Recherche zeigt: Gifttiergesetz stoppt Schwarzmarkt nicht

Doch funktioniert das Gifttiergesetz überhaupt? Unsere Recherchen beweisen: Das Gesetz schafft es nicht, den Schwarzmarkt einzudämmen. Mit falscher Identität melden wir uns im Forum „Terraristik.com“ an. Hier gibt es alles, was das Reptilien- und Exotenherz begehrt. Für Giftschlangen gibt es extra eine eigene Kategorie. Das Problem: Jedes Bundesland hat seine eigenen – oder auch gar keine – Gesetze, die die Haltung von Gifttieren einschränken. Für Behörden ist der Handel im Internet schwer zu kontrollieren.

Wir schreiben einige Anbieter an – und bekommen schnell Antworten. Ein Halter eines giftigen Skorpions etwa will sich mit uns in Essen für eine persönliche Übergabe treffen. Bis zu zehn der Skorpione können wir kaufen – Preis: 110 Euro für alle zehn. Ein anderer Händler möchte uns eine giftige Tigervogelspinne verkaufen. Sie gilt als leicht aggressiv, ihr Gift als besonders stark. Auch hier wird eine Übergabe in den nächsten Tagen angeboten. Wir fragen extra nach: „Mit dem Gifttiergesetz gibt’s da keinerlei Probleme, oder?“ „Nein“, antwortet der Händler. Als wir ihn konfrontieren, behauptet er, er hätte sich vor dem Verkauf eine Haltungsbescheinigung von uns zeigen lassen. Welche er damit meint, bleibt offen. 

E-Mail-Nachricht eines mutmaßlichen Gifttier-Verkäufers im Internet© Radio Emscher Lippe
E-Mail-Nachricht eines mutmaßlichen Gifttier-Verkäufers im Internet
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In gut einem Monat findet in Hamm wieder die „Terraristika“ statt, die größte Reptilienbörse der Welt. Tierschützer kritisieren regelmäßig den „Graumarkt“ auf dem Parkplatz vor der Messehalle. Die Börse selbst weist zwar regelmäßig auf das Haltungs- und Abgabeverbot giftiger Tiere in NRW hin. Aber schon jetzt finden sich in den Internet-Portalen viele Angebote giftiger Tiere: „Abzugeben in Hamm im Dezember“. Der Gifttierbestand in NRW dürfte in den nächsten Wochen weiter steigen.

E-Mail-Nachricht eines mutmaßlichen Gifttier-Verkäufers im Internet© Radio Emscher Lippe
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