Schutz vor Liebes-Abzocke im Internet
Veröffentlicht: Mittwoch, 11.09.2024 06:03
Sie agieren weltweit und machen auf große Liebe - ihre Opfer hingegen sind nach dem Betrug oft bettelarm: Liebesbetrüger zocken Alleinstehende gnadenlos ab. Wir sind den Betrügern auf der Spur, sprechen mit Betroffenen und einem Privatdetektiv.
Undercover-Recherche: Liebes-Abzockern auf der Spur
LOVOO zählt zu den bekanntesten Dating-Portalen in Deutschland. Mehrere Millionen Menschen sind auf LOVOO weltweit auf der Suche nach der großen Liebe. Auch ich, Reporter Leon Pollok - in einem Selbstversuch. Ich melde mich mit einem Fake-Profil an: Renate, 62 Jahre alt, aus Essen, 1,63m groß, Gelegenheitsraucherin. Mein Profilbild lasse ich mir mithilfe von künstlicher Intelligenz erstellen. Ich schreibe das Profil eines Mannes an, Michael Dubois nennt er sich. "Hallo, wie geht es dir? Liebe Grüße Renate"
Ab dem Moment sitze ich in der Falle.
"Nichts würde mich glücklicher machen, als Sie kennenzulernen!"
Michael Dubois heißt in Wirklichkeit anders. Und er lebt auch nicht in Carderousse in Frankreich, wie in seinem Profil steht. Er arbeitet auch nicht als Agrarimporteur für Schokoladenfirmen, wie er erzählt. Und vor allem will er Renate nicht kennenlernen. Er will ihr Geld. Hinter "Michael Dubois" steckt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Liebesbetrüger aus Westafrika. Die Betrüger gaukeln Alleinstehenden die große Liebe im Internet vor - zu einem Treffen kommt es nie. Stattdessen versuchen die Abzocker, ihre Opfer unter einem Vorwand dazu zu bringen, ihnen Geld zu schicken.
Für diese Recherche haben wir mit den Kolleginnen und Kollegen der WAZ zusammengearbeitet. Was Betroffene berichten, lest ihr hier und hier.
Wie viel Schaden Love Scammer anrichten, dazu gibt es keine offiziellen Statistiken. Das Landeskriminalität NRW berichtet uns für das vergangene Jahr von über 500 Anzeigen, die mit dem Thema "Love Scamming" zu tun haben. Geschätzter Schaden: Mehr als 6 Millionen Euro.
Das Profilbild des Betrügers "Michael Dubois" von Lovoo zeigt in Wirklichkeit einen spanischen Schauspieler: Ivan Hidalgo. Das Foto haben die Betrüger von seinem Instagram-Account geklaut. Ivan Hidalgo bestätigt uns auf Anfrage, dass ihm das Problem bekannt sei und so etwas öfter vorkomme.
Wir nehmen die Liebesbetrüger vom Netz
Wir konfrontieren LOVOO mit unseren Ergebnissen. Die Firma nutze ein "mehrstufiges System, um gegen Fakeprofile und Lovescamming-Versuche vorzugehen", schreibt uns ein Sprecher. Außerdem werde viel Aufklärung geleistet. User könnten sich jederzeit an den Kundenservice wenden, wenn verdächtige Profile auftauchen. Ein Authentifizierungsverfahren, bei dem User sich selbst mit einem beschrifteten Zettel fotografieren sollen, biete zusätzliche Sicherheit. Wie viele Liebesbetrüger zuletzt auf der Plattform unterwegs waren und gesperrt wurden, sagt LOVOO nicht. Dank unserer Hinweise konnte die Firma allerdings die Profile von "Michael Dubois" und weiteren mutmaßlichen Lovescammern schnell vom Netz nehmen. Viele potenzielle Opfer wurden so dank unseren Recherchen vor einem Betrug bewahrt.
"Wegen euch bringen sich Menschen um!"
An die große Liebe hat auch Susanne Berke geglaubt - zumindest für einen ganz kurzen Moment. Vor fünf Jahren lernt die Gelsenkirchenerin einen netten Mann über ein Portal für Meditationskurse kennen. Die beiden chatten ein bisschen hin und her, er macht ihr Komplimente - Benjamin Kent nannte er sich. Susanne erzählt ihrer Schwester von ihrem Internet-Flirt. Was sie zu dem Zeitpunkt nicht weiß: Ihre Schwester wurde von genau dem gleichen Mann angeflirtet. Der Betrugsversuch fliegt auf.
Susanne Berke will jetzt ihren vermeintlichen Lover auffliegen lassen. "Ich war erstmal enttäuscht. Aber dann kam die Neugierde, ich wollte wissen, wer dahinter steckt und hatte Lust, den auflaufen zu lassen." Deshalb chattet sie weiter und bekommt nach einigen Wochen eine Geschichte aufgetischt: Der Mann sei Innenarchitekt und habe einen Auftrag, ein Kreuzfahrtschiff auszustatten. Er müsse aber zehn Prozent der Auftragssumme selbst aufbringen.
Zehntausend Dollar fordert er von der Gelsenkirchenerin Susanne Berke. Als Susanne ablehnt, wird der Mann immer fordernder. Erst soll sie ihren Ring verkaufen, dann ihre Rentenversicherung zu Geld machen. Und schließlich soll sie auch noch den Bochumer Oberbürgermeister, ihren damaligen Chef, um Geld fragen.
"Irgendwann hatte ich dann die Nase voll und hab gesagt: Von mir bekommst du keinen einzigen Cent." Der Betrüger sieht eine letzte Chance und schickt ihr einen Ausweis. "Ich sah auf den ersten Blick, der ist gefälscht", sagt Susanne. Sie bricht den Kontakt ab. An die Betrüger hat Susanne einen klaren Appell: "Ihr seid alles Arschlöcher, wegen euch bringen sich Menschen um!"
Tatsächlich kommt es immer wieder zu Dramen, weil Menschen von Liebesbetrügern gnadenlos abgezockt werden. In Essen soll ein 55-Jähriger im vergangenen Jahr seine Tochter und sich selbst getötet haben, nachdem er Opfer von Liebesbetrügern wurde. Er habe sich dadurch hoch verschuldet, hieß es von der Polizei. Er soll einen fünfstelligen Betrag auf das Konto der Betrüger überwiesen haben.
"Ganz normales Business" - Privatdetektiv lässt Betrüger auffliegen
"Das ist ein ganz normales Business", sagt Jochen Meismann aus Dorsten. Er beschäftigt sich seit Jahren als Privatdetektiv mit den Liebesbetrügern. Pro Tag bekomme er rund zehn Anfragen zu dem Thema, sagt er uns im Interview. Wir dürfen ihn nur von hinten fotografieren - aus Sicherheitsgründen. Seine Detektei arbeite weltweit - jeder könne Opfer werden, von jung bis alt. Sein Job: Er prüft für seine Kunden, ob die vermeintlichen Lover auf den Dating-Plattformen echt sind. In den allermeisten Fällen muss er dann die schlechte Botschaft überbringen: Den vermeintlichen Liebhaber auf dem Profil gibt es nicht. Sein größter Fall bisher: Eine Frau aus der Schweiz habe 2 Millionen Schweizer Franken an afrikanische Betrüger gezahlt. "Ich kann mich an eine Frau erinnern, die ihr Haus verkauft hat. Ganz viele verkaufen ihr Auto, lösen ihre Lebensversicherung auf. Alles weg - das Geld ist weg", sagt Privatdetektiv Jochen Meismann.
Er weiß genau, wie sich die Betrüger ihre Opfer zurechtlegen: "Sie versuchen, sie komplett zu separieren." Man werde regelrecht mit Nachrichten bombardiert - zu allen Tages- und Nachtzeiten. Es werde eine enge Bindung aufgebaut: "Ich bin derjenige, mit dem du den Rest deines Lebens verbringen wirst. Und damit ich bald kommen kann, schicke mir doch ein bisschen Geld." Auch deshalb kommen manche Betroffene immer wieder zu Jochen Meismann: "Das größte Risiko ist das Rückfallrisiko. Die sind so sehr in die ganze Geschichte involviert, dass sie - auch wenn sie ahnen, da stimmt was nicht - immer weiter bezahlen."
Jochen Meismann erinnert sich an einen Kunden, der eine sechsstellige Summe an eine Frau verloren hatte. In der Detektei habe Meismann ihn aufgeklärt, dass er auf Betrüger reingefallen sei. Ein halbes Jahr später habe der Mann wieder in der Detektei angerufen: "Herr Meismann, ich habe ein Problem, ich habe der nochmal Geld geschickt."
Die Täter agieren meist aus Afrika und haben laut Jochen Meismann quasi nichts zu befürchten. "Das sind alles Millionäre. Die geben anderen Menschen Jobs, indem sie sie anstellen. Sie schreiben und chatten und fälschen ein bisschen, und dafür bekommen sie viel Geld." Deshalb seien die Betrüger im eigenen Land sehr hoch angesehen. "Sie werden kaum einen Richter finden, der etwas dagegen macht." Vier Wochen nach der Verurteilung - wenn überhaupt - seien die Kriminellen wieder draußen. Mit genug Geld gehe das, sagt Meismann.
Der Betrug laufe weltweit - die Mitarbeiter in den kriminellen Callcentern säßen 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, an der Arbeit. Selbst Jugendlichen würden die Täter schon ihr Taschengeld abzocken. "Das ist ein ganz normales Business."
Was sagt die Polizei zu dem Thema?
Wie groß das Problem ist, lässt sich schwer sagen. Das Phänomen "Love Scamming" gibt es nicht als eigenen Straftatbestand. Die Polizei in Mülheim kann deshalb auf Anfrage nicht sagen, wie oft sie mit solchen Fällen zu tun hat. Laut Polizei Gelsenkirchen bewegen sich die erfassten Fälle im vergangenen Jahr im niedrigen einstelligen Bereich. Die Schadenssummen seien aber meist sehr hoch - im fünfstelligen Bereich, also über 10.000 Euro. Die Polizei Oberhausen nennt keine konkreten Zahlen, geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus. "Dem einen Betrogenen ist es vielleicht peinlich, darauf hereingefallen zu sein, und der andere will es partout nicht wahrhaben." Auch die Polizei für den Kreis Wesel teilt diese Einschätzung.
Das Landeskriminalamt hat für das vergangene Jahr NRW-weit rund 500 Anzeigen gefunden, die mit dem Thema "Love Scamming" zusammenhängen. Die Dunkelziffer dürfte aber viel höher sein, sagt uns eine Sprecherin.
Messen lassen sich hingegen die Betrugsfälle in NRW, die im Internet begangen wurden - darunter fällt allerdings nicht nur Love Scamming. Waren es 2019 noch gut 40.000 Fälle, stieg die Zahl bis 2022 laut Kriminalstatistik auf über 60.000 an. Knapp 19.000 mutmaßliche Täter konnten im Jahr 2022 ermittelt werden. Drei Jahre davor waren es noch knapp 14.000 Tatverdächtige.
Sie sagt Liebesbetrügern den Kampf an
Kiki ist 62 Jahre alt und kommt aus der Nähe von Aschaffenburg. Sie sagt Betrügern wie "Michael Dubois" den Kampf an. Als zweite Vorsitzende des Forums "Romance Scambaiter" kämpft sie gegen ein weltweites Millionenbusiness. Alles, was sie braucht, ist ein Laptop, sind Handys - und jede Menge Zeit. Sie gibt sich in Chats als ahnungslose Alleinstehende aus und beschäftigt die Betrüger so lange wie möglich. Zur Geldübergabe kommt es natürlich nie. Aber in der Zeit, in der die Betrüger mit Kiki chatten, können sie keine anderen potenziellen Opfer abzocken, so der Plan. "Es ist nicht nur einmal vorgekommen, dass Opfer bei mir am Telefon bitterlich geweint haben. Wir sagen nicht: 'Wie kann man denn so blöd sein?' Das machen die schon selber."
In dem Forum "Romance Scambaiter" tauschen sich Betroffene untereinander aus und drehen den Spieß um: Plötzlich lassen sie die Betrüger am anderen Ende der Welt zappeln, täuschen immer wieder neue Probleme bei der Geldübergabe vor, bringen die Betrüger langsam zur Weißglut. Aktuell hat das Forum rund 4.700 Mitglieder, im Schnitt kommen rund 1.000 Fälle pro Jahr neu dazu. Kikis Motivation: Sie ist vor einigen Jahren selbst von Betrügern angeschrieben worden, hat die Masche aber rechtzeitig erkannt. Seitdem will sie andere Menschen vor dem Leid bewahren.
So schützt ihr euch vor Liebesbetrügern
Wir haben für euch beim Landeskriminalamt NRW nachgefragt, wie ihr euch am besten vor Lovescamming schützen könnt. Der Kontakt erfolge meist über soziale Netzwerke und Dating-Plattformen. Bei diesen Anzeichen sollten alle Alarmglocken schrillen.
- Knappe Nachricht mit englischer Sprache
- Aufforderung, auf eine andere Plattform zu wechseln
- Männliche Betrüger nutzen oft Fotos von Männern in Uniform
- Schon nach dem ersten Kontakt lange Nachrichten voller Liebesbekundungen
- Potenzielle Opfer werden intensiv über das Privatleben ausgefragt (Familie, Hobbys, ehemalige Partner)
- Die neue Partnerin oder der neue Partner wird schon bald als "Ehemann" oder "Ehefrau" bezeichnet - es werden Heiratspläne geschmiedet.
Wenn ihr ahnt, mit einem Love Scammer zu schreiben oder sogar schon Opfer geworden seid, solltet ihr diese Hinweise beachten:
- Ignoriert den Scammer, brecht sofort alle Kontakte ab
- In keinem Fall Geld überweisen; geleistete Zahlungen bei der Bank wenn möglich rückgängig machen
- Beweise sichern (Chats, E-Mails, Fotos, Überweisungsbelege)
- Anzeige bei der Polizei erstatten
- Auch, wer sein Konto für kriminelle Zwecke zur Verfügung stellt, macht sich strafbar!
Hier findet ihr Infos der Polizeilichen Kriminalprävention.
Und hier Infos der Detektei von Jochen Meismann aus Dorsten.